Trotz Klimawandel setzen die Philippinen auf den Ausbau von Kohlekraft-werken. Mit fatalen Folgen: Lokalaugenschein in einem betroffenen Dorf.
Von Marina Wetzlmaier, Bataan, Philippinen
Von der vielbefahrenen Hauptstraße zweigt ein holpriger, nur teilweise asphaltierter Weg ab. Das Gebiet ist dicht besiedelt. Man fährt vorbei an kleinen Läden, die von Waschpulver und Haarshampoo bis zu Instant-Nudeln und Coca-Cola scheinbar alles verkaufen. Kinder in Schuluniformen laufen nach Hause. Streunende Hunde kreuzen ihren Weg.
Auf den ersten Blick ist Lamao auf der Halbinsel Bataan, etwa eine Stunde Schifffahrt von der Hauptstadt Manila entfernt, ein typisches philippinisches Dorf. Doch einiges ist doch anders hier: Im Dorf fühlt man stets einen beißenden Geruch in der Nase. Auch ein ständiges, lautes Brummen liegt über dem Ort. „Das kommt vom Kohlekraftwerk“, sagt Veronica Cabe, die Koordinatorin des Coal Free Bataan Movement, einer lokalen Bewegung gegen Kohlekraftwerke.
„Die Menschen hier leben Tag und Nacht mit dem Lärm“, ergänzt sie. Cabe engagiert sich auf nationaler Ebene zudem in der Klimaschutzbewegung.
Kohlekraft ist die Hauptenergiequelle auf den Philippinen. 2012 ging man von 26 Prozent Anteil an der nationalen Stromversorgung aus, 2019 von 43 Prozent. 26 Kraftwerke gibt es landesweit. Präsident Rodrigo Duterte plant eine Erhöhung auf 58 bis zum Jahr 2030. Dann würde fast die Hälfte des Stroms aus Kohlekraftwerken gespeist werden.
Umweltgruppen befürchten durch den vermehrten CO2-Ausstoß schlimme Folgen für die Philippinen, die schon jetzt schwer von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen sind.
Historische Missernten. Ein Stacheldrahtzaun trennt den Ort Lamao vom Kraftwerksgelände. Die roten Schlote ragen hinter den Hütten hervor. Auf dem Weg durch das Dorf bleibt Cabe stehen und deutet auf die Blätter eines Mangobaums, die mit Warzen übersät sind. Ebenso krank sind Gemüsepflanzen. „Die Auberginen sind nur mehr halb so groß, wenn sie überhaupt Früchte tragen“, sagt sie. „Auch wenn die Kraftwerksbetreiber es natürlich anders sehen: die Menschen hier sind erfahrene Bauern und solche Missernten hatten sie früher nie.“
Für Cabe und die BewohnerInnen sind ohne Zweifel das Kraftwerk und die Schadstoffe, die es ausstößt, für die Veränderung der Boden- und Luftqualität verantwortlich. „Es gibt Probleme mit den Filtern des Kraftwerks“, vermutet Alvin Pura, einer der Dorfbeamten.
Rosalina Aritmetica, Mitglied der lokalen Frauenorganisation, ergänzt: „Diese Verschmutzung ist nicht normal. Der schwarze Rauch dringt sogar in die Häuser ein.“ Laut NGOs liegt die Gefahr des Kohlestaubs darin, dass er Arsen, Quecksilber, Blei und Chrom enthält. Schon die Kinder leiden an Lungenentzündungen oder Hautkrankheiten. Die Fälle von Krebs sollen sich unter den BewohnerInnen von Lamao ebenso gehäuft haben.
„In diesem Umfeld kann niemand gesund werden“, betont Cabe. Tatsächlich ist der Kohlestaub überall sichtbar: auf den Blättern der Bäume, auf der Wäsche, die zum Trocknen draußen hängt, und an den Füßen.
Duterte bleibt stur. Die Regierung zeigt sich von Kritik an ihrer Energiepolitik unbeeindruckt. In einem Interview aus dem Jahr 2017 behauptete Duterte glatt, dass man nichts gegen die Umweltverschmutzung tun könne und man sich an die Klimaveränderungen eben anpassen müsse. Eine Alternative zu Kohle sehe er nicht, käme sie den VerbraucherInnen doch am billigsten.
Druck durch Corona
Corona erreichte auch das Dorf Lamao und die Philippinen. Die Regierung verhängte eine Ausgangssperre, wer sich nicht daran halte, werde verhaftet, verkündete der Präsident, oder riskiere, von der Polizei erschossen zu werden.
Vielen im Dorf fehlt nun jegliches Einkommen. „Die Menschen haben Angst zu verhungern“, berichtet Veronica Cabe. Deshalb hat sie mit anderen AktivistInnen eine Spendenaktion gestartet, täglich schnüren sie Lebensmittelpakete und kaufen Medikamente, um sie in der Community zu verteilen. M. W.
Die Strompreise auf den Philippinen zählen zu den höchsten in Asien. Ein Drittel der Bevölkerung ist gar nicht ans Stromnetz angeschlossen. Schon Dutertes Vorgänger Benigno Aquino (2010 bis 2016 im Amt) hatte Kohlekraft als unerlässlich erklärt, um der Stromknappheit entgegenzuwirken.
Umweltorganisationen widersprechen diesem Argument: „Wir brauchen keine großen Kraftwerke“, sagt Aktivistin Cabe. „In Bataan beispielsweise wird mehr Strom produziert als wir benötigen. Der Rest wird in andere Provinzen oder ins Ausland exportiert.“ Andere kritisieren, dass der Strom in die Versorgung großer Bergbauunternehmen fließe.
Ein Großteil des Energiesektors auf den Philippinen wird von wenigen privaten Playern dominiert. Der mächtigste ist die San Miguel Corporation (SMC), einer der größten Konzerne des Landes, der seit 2016 auch das Kraftwerk in Lamao betreibt.
Im Vorfeld hatte es Versuche gegeben, die lokale Bevölkerung zu vertreiben. Das Problem der 378 Familien in Lamao: das Grundstück, auf dem sie leben, gehört nicht ihnen. Sie haben es lediglich von der philippinisches Ölgesellschaft (Philippine National Oil Company – PNOC) gepachtet.
Die PNOC wurde im Jahr 1973 mit dem Ziel gegründet, die Philippinen energieautark zu machen. Neben dem Ölsektor ist sie für andere Energieressourcen wie Gas, Kohle und Geothermie zuständig. Um den Expansionsbestrebungen der Mega-Firma SMC Platz zu machen, hatte sie angekündigt, die Häuser in Lamao zu demolieren.
Lebensgrundlage bedroht. Doch viele der BewohnerInnen wollen oder können nicht weg. Die Menschen bauten hier nicht nur ihre Häuser und Geschäfte auf, sondern legten in vielen Fällen Felder an. Eine Lebensgrundlage, die sie nicht so leicht aufgeben.
Das naheliegende Meer ermöglicht anderen, sich mit Fischfang über Wasser zu halten, auch wenn der Ertrag geringer wird. Einige BewohnerInnen gingen mittlerweile doch weg. Das Unternehmen bietet den Menschen, die den Ort verlassen, Kompensationszahlungen. Doch die Gemeinschaft ist gespalten.
Kein Geld für den Arzt. Gador wohnt mit seiner Frau in einem kleinen gemauerten Haus mit Wellblechdach. Einst führte der 60-Jährige einen Gemischtwarenladen, heute ist er lungenkrank. „Er war einer der aktivsten Gegner des Kraftwerks“, berichtet Cabe und seufzt.
Zum Arzt kann Gador nicht. Medizinische Behandlungen müssen auf den Philippinen selbst bezahlt werden, das Geld dafür hat er nicht.
Gador bekam vom Unternehmen ein finanzielles Angebot, unter der Voraussetzung, dass er wegziehe. Doch er lehnte ab, obwohl er das Geld für seine Behandlung brauche könnte. „Wo sollen meine Frau und ich denn sonst hin?“, fragt er.
Im Jahr 2017 einigten sich NGOs, die Gesundheits- und Umweltministerien und Unternehmen darauf, eine nationale Gesundheitsstudie über die Auswirkungen von Kohlekraftwerken durchzuführen.
Ob Cabe keine Einflussnahme durch die Firmen befürchtet? „Das Risiko besteht“, räumt sie ein. „Aber die Beteiligung mehrerer Akteure minimiert es.“ Während die Studie noch in Arbeit ist, harren die Menschen von Lamao im Schatten des Kraftwerks aus.
Marina Wetzlmaier, freie Journalistin mit philippinischem Background aus Wels/Oberösterreich, war Anfang des Jahres auf den Philippinen.
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